Ein schönes Buch – das vom starken Wanja. Geschrieben hat es Otfried Preußler für Kinder, aber auch für Erwachsene, die sich kindliche Freude am schönen Märchen bewahrt haben.
Wanja – so berichtet dieses Märchen – ist der 3. Sohn eines russischen Bauern, ein Träumer, vor allem aber ein Faulpelz. Seine Brüder fluchen über ihn, weil sie allein alle Arbeit tun müssen. Aber Wanja ist zu Großem berufen. Beim Holzmachen im Wald begegnet ihm ein seltsamer blinder Pilger und prophezeit ihm eine glorreiche Zukunft: er soll der neue Zar werden. Aber zuvor muss er Prüfungen bestehen. Damit er sie auch bestehen kann, soll er zunächst sieben Jahre faulenzend auf dem Ofen liegen und Sonnenblumenkerne kauen. Was für ein Unsinn! Andere studieren in dieser Zeit und fangen an zu arbeiten.
Wanja gehorcht dem seltsamen Pilger und wickelt sich in sieben Schafspelze. Gut so, denn die Brüder heizen ihm mächtig ein und wollen ihn auch durch die sibirische Kälte bezwingen, und nur dank der Pelze überlebt er Hitze und Frost. Nach sieben Jahren Untätigkeit – er darf nicht einmal reden in dieser Spanne – sind Wanjas Kräfte riesig. Alle , die sich mit ihm anlegen, werden mühelos durch die Luft gewirbelt. Dieser Wanja ist unbezwingbar – er hat tatsächlich Bärenkräfte.
Nun kann er in die Welt ziehen, lässt sich allein von der 3-Kopeken-Münze leiten, die ihm seine Mutter auf dem Sterbebett überreicht hat und die er immer an der Kette auf der Brust trägt. Der starke Wanja beeindruckt alle, die ihm begegnen: er stemmt ein Kosakenpackpferd in die Luft und zieht ganz allein einen Schleppkahn auf der Wolga hinter sich her. Aber beeindruckt das auch die Welt der bösen Mächte?
Wanja erfährt vom eklig-grünen Sturmmonster und schüttelt ihn von seiner Tanne, der muss ihm seinen Wunderspeer aus Eisenholz herausrücken. Danach bezwingt der starke Wanja die hinterhältig-mordlustige Hexe Baba-Jaga und fordert von ihr als Tribut den prächtigen Rappen Waron. Wanja stellt sich auch dem Riesen Foma Drachensohn in den Weißen Bergen, bezwingt ihn mit der eisernen Lanze und bekommt die alte Rüstung des Zaren Iwan geschenkt. Zunächst also der Kampf, danach die Insignien der Macht. Sie werden ihm später noch gute Dienste leisten – wir ahnen es schon.
Wanja ist ein lauterer Kerl, der Gutes tut und dabei dennoch arglos ist. Nie erkennt er die Bedrohung, in der er schwebt, vertraut aber ganz auf seine Kräfte und auf Gott. Mit seiner Freundlichkeit erwirbt er überall Freunde und Menschen, die ihm Gutes wünschen. Dennoch hat er auch Feinde, aber die richten am Ende sich selbst.
Der böse Großfürst Dimitri will Prinzessin Wassilissa heiraten, doch die beruft sich auf eine Weissagung, nach der nach 7 Jahren und sieben mal sieben Wochen der Auserwählte komme, erkannt an der silbern funkelnden Rüstung des Zaren Iwan. Als Wanja im Schloss des alten Zaren anlangt, heckt der böse Dimitri vier Mordanschläge aus, die allesamt vereitelt werden, weil Wanja ein Freund erwächst – Mischa Holzbein – der hat zwar als geschundener Soldatenveteran nur noch ein Bein, aber dafür das Herz auf dem rechten Fleck und eine wundertätige Mundharmonika.
Am Ende erkennt der blinde alte Zar in diesem jungen Helden den starken Wanja, und Wanja erkennt den Pilger von damals. Die Prinzessin ist ihm zugetan, die beiden heiraten, und Wanja wird zum neuen Zaren ausgerufen.
Wie ein Märchen ist das Ganze erzählt und beschrieben von Otfried Preußler. Doch hinter den Zeilen des Märchens erkennen wir schnell: es geht um mehr als um eine schöne Geschichte.
Da ist einer erwählt – und dieses Erwähltsein lässt sich nicht begründen. Da muss einer mit dem Unverständnis seiner Familie zurechtkommen. Man kennt ihn ja – was soll aus ihm Gutes werden? Aber, kennt man ihn tatsächlich? Was, wenn Gott mehr in ihm sieht als alle Welt?
Der Erwählte muss schweigen können, sonst misslingt der Zauber der Erwählung, erst seine Taten werden ihn später als das ausweisen, was er ist. Er muss bereit sein, seine Kräfte zu sammeln und nicht zu verpulvern. Große Ziele brauchen große Kräfte und starke Nerven. Mancher wird erst in der Gefahr groß und wächst gar über sich hinaus.
Die Wanderschaft durch die Welt ist manchmal verwirrend – wer oder was soll den Weg weisen? Kopf oder Zahl – eine einfache Methode, wenn man nicht mehr weiterweiß. Doch dahinter steckt das Vertrauen: “Gott wird es schon irgendwie gut machen. Hinter jeder Wegkreuzung, so unterschiedlich die Wege auch sind, bin ich selbst doch immer der Gleiche. Ich nehm´s, wie´s Gott gefällt, bin zufrieden, hadere nicht mit meinem Schicksal, wenn´s hart kommt. Gott gibt mir unterwegs, was ich später brauche. Er rüstet mich zu für meine Aufgaben. Manchmal muss ich das Rüstzeug erobern, gegen Widerstände verteidigen.” Auch das gehört zum Leben. Es ist kein Zuckerschlecken. Und: ist es nicht am wichtigsten, Freunde zu haben und ein Ziel, für das es sich zu leben lohnt, auch wenn es – zugegeben – ein hohes Ziel ist?
Ein edler Bauernbursche, der ein guter Zar wird – in vielen Zügen erkennt der Leser die Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen wieder, die sich mit dem Zimmermannssohn Jesus verbanden. Hat er nicht auch 30 Jahre gewartet bis er hervorkam aus seiner dörflichen Welt in Galiläa? Musste er nicht auch die Schweigsamkeit der vierzig Tage in der Wüste ertragen, den Hunger, den Durst und die Anfechtungen des Teufels? Wie war das mit dem Unverständnis seiner Familie – alles bekannt aus den Evangelien. Und dann die Freunde um ihn herum, die zwölf Jünger, die alles mit ihm teilten. Aber für das Ziel lohnte es sich, alles aufzugeben – er wurde zum Heiland für alle Menschen, die seinen Weg kreuzten, den Blinden vor Jericho, das Töchterchen des Jairus, den Knecht des Hauptmanns von Kapernaum. In diesen Geschichten wird Jesus beschrieben als Helfer und Tröster – und alles im Namen des Allmächtigen, der will, dass die Menschen das Gute erkennen.
Der starke Wanja – ein Vorbild auch für jeden, der noch am Anfang steht. Es kommt darauf an, den eigenen Weg zu erkennen und tapfer voranzuschreiten. Es kommt darauf an , alle Kräfte zu sammeln und einzusetzen gegen das Böse und für das Gute. Es kommt darauf an, dem Leben zu vertrauen – „am Ende werde ich mein Glück machen, Gott wird es mir geben”.
Wie heißt es im Psalm 23: Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. … Er führt mich auf rechter Straße. Über einem starken Menschen ist ein starker Gott. Und der ist auch bei ihm, wenn er einmal schwach wird.